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Stand der Bearbeitung: 29.3.2004

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Boom der Ehrenamtlichkeit - kritische Betrachtung


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http://www.ecn.org/communitas/de/de003.html

Neue Arbeit braucht das Land
Zum neuen Boom der Ehrenamtlichkeit


Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der Arbeitslosigkeit
postmoderne Soziologen und PolitikerInnen fürchten dabei nicht so sehr die
damit verbundene Verarmung, sondern den drohenden Zerfall der
"Arbeitsgesellschaft". Doch die innovativen Ghost Busters haben bereits neue
Wunderwaffen parat, mit denen individuellen Sinnkrisen und dem Verlust
gesellschaftlicher Solidarzusammenhänge zu Leibe gerückt werden soll:
"gemeinnützige Arbeit", "ehrenamtliche Arbeit", "Arbeit für das Gemeinwesen"
oder - so die jüngsten Kreationen des Münchner Soziologen Ulrich Beck
(http.www.ecn.org/communitas/de/de001.html) - "Bürgerarbeit" und "öffentliche Arbeit".

Von Beck bis zum grünen Stadtentwicklungssenator Willfried Maier in Hamburg,
von der Bremer "Querdenkerin" Sibylle Tönnies bis zum Club of Rome, der
Ausgangspunkt ist immer derselbe: Arbeitslosigkeit ist in erster Linie eine
gesellschaftliche und individuelle "Krankheit". Sie löst den "Zusammenhang
zwischen Kapitalismus und politischer Demokratie" auf (Beck), führt zum
Verlust von "Gemeinschaftlichkeit und Bürgersinn" (Maier) und ist für die
Individuen ein "pathologischer Zustand" (Tönnies). Der Therapievorschlag
gegen die "Krise der Arbeitsgesellschaft" ist simpel und folgerichtig: mehr
Arbeit. Jenseits von Staat und Markt, im "Dritten Sektor" (so der
US-amerikanische Wirtschaftsjoumalist Jeremy Rifkin), sollen nützliche Dinge
und Dienstleistungen für das "Gemeinwesen" und für die individuelle
Sinnfindung und "Wiedergewinnung der Würde" (Tönnies) hergestellt werden.
Ulrich Beck sieht dabei in den neuen "Gemeinwohl-ArbeiterInnen" den Prototyp
für einen neuen "solidarischen Individualismus", und der Grüne Willfried
Maier erkennt gar "Elemente des Kommunismus", wenn Bürgerinnen und Bürger in
freiwilligem Engagement das Gemeinwesen täglich neu herstellen.

Dabei soll es sich erklärtermaßen um Arbeit "jenseits der Lohnarbeit"
handeln. "Richtige Arbeit" ja, aber nicht über einen Arbeitsmarkt
vermittelt. Nach Ulrich Beck soll die "Bürgerarbeit" zwar be-, aber nicht
entlohnt werden. "Bezahlte Arbeit ist in unserer Gesellschaft zu einem Wert
an sich geworden", beschwert er sich gegenüber der TAZ. Konsequenterweise
soll daher auch unbe zahlte Arbeit die Weihen "richtiger Arbeit" erhalten.

Statt eines ordentlichen Lohnt gibt es eine Grundsicherung zum
Sozialhilfesatz plus ideelle Anerkennungen. Ansonsten aber soll die
Arbeitskraft strikt ehrenamtlich verausgabt werden. Eine Konstruktion, der
selbst bürgerliche ökonomen nicht unbedingt folgen wollen. Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) merkt zurecht an, daß man sich
entscheiden müsse: Entweder ist "Bürgerarbeit" Arbeit oder nicht. Wenn ja,
müsse man sie auch "mit einem normalen Lohn vergüten". Anderenfalls würde
sie lediglich einen neuen Billig-Lohn-Sektor eröffnen (TAZ, 28./29.3.1998).

Schlanker Staat durch Bürgerarbeit

Was dieser "Dritte Sektor" oder "Gemeinnützigkeitssektor" im einzelnen
umfaßt, bleibt meistens diffus. Er kann vom gesamten Bereich der
frei-gemeinnützigen Wohlfahrt über Selbsthilfeinitiativen und gemeinnützige
Arbeit unter staatlicher Regie (von ABM bis Arbeit für
SozialhilfeempfängerInnen) bis hin zu Tauschringen, Nachbarschaftshilfe und
allen Formen der Schattenökonomie reichen. Die Erosion des
"Normalarbeitsverhältnisse", staatliche Arbeitsmarktpolitik und der Rückzug
des Staates aus den sozialen und öffentlichen Dienstleistungen haben in der
Bundesrepublik bereits in erheblichem Umfang einen "Dritten Sektor"
hervorgebracht. Nach Schätzungen des DIW ist jedeR dritte Erwachsene
ehrenamtlich tätig. Hundertausende SozialhilfeempfängerInnen leisten
"gemeinnützige Arbeit", und ebenfalls mehrere hunderttausend Erwerbslose
stecken in ABM- und anderen Maßnahmen der Sozial- und Arbeitsämter, in denen
sie "zusätzliche" Arbeiten im "öffentlichen Interesse" verrichten. Aus den
unterschiedlichen sozialen Protestbewegungen ist eine Nischen- und
Überlebensökonomie entstanden; aus HausbesetzerInnen wurden alternative
Planungsbüros, aus Erwerbsloseninis Beschäftigungsträger. Und nicht zuletzt
schätzt das Bundesministerium für Arbeit (BMA), daß der Bereich der
Schwarzarbeit allein mehrere hunderttausend Putz-, Pflege- und
Babysittingjobs beinhaltet. Trotz seiner quantitativen Bedeutung ist es
diesem "Dritten Sektor" bisher offensichtlich weder gelungen, die
Erwerbslosigkeit zu beseitigen, noch neue Formen von Gesellschaftlichkeit zu
produzieren.

"Bürgerarbeit" will erklärtermaßen auf eine keynesianisch- sozialstaatliche
Organisation gesamtgesellschaftlicher Verant wortung verzichten. Der Rückzug
des Staates aus sozialen und öffentlichen Dienstleistungen wird ausdrücklich
begrüßt. Bereits der Bericht der "Zukunftskommission der Freistaaten Sachsen
und Bayern", in der Ulrich Beck zusammen mit dem konservativen Chefideologen
Meinard Miegel tätig war, fordert nachdrücklich die Zurücknahme staatlicher
Aktivitäten. Und in dem erwähnten TAZ- Interview heißt es ebenfalls
unmißverständlich: "Tätigkeiten, die bisher staatlich organisiert waren,
sollen mit stärkerer Eigeninitiative von Bürgern wahrgenommen werden", und
zwar "Aufgaben in zentralen gesellschaftlichen Bereichen". Auch Willfried
Maler verspricht: "Gemeinwesenarbeit verbilligt und verschlankt den Staat."
Angesichts knapper staatlicher Mittel müssen "liegengebliebene Arbeiten"
eben in Gemeinwesenarbeit erledigt werden. Die Logik ist bestechend: Die
arbeitslosen ErzieherInnen, LehrerInnen oder AltenpflegerInnen arbeiten eben
ehrenamtlich, unentgeltlich und ohne Tarifrechte in den Kitas, Schulen und
Pflegeeinrichtungen, aus denen sie vorher rausgeflossen sind oder in die sie
gar nicht erst übernommen wurden. Oder noch besser: Es werden erst gar keine
Kitas, Abenteuerspielplätze u.ä. einge richtet. sondem die (arbeitslosen)
Eltern organisieren diese in eigener Regie. "Bürgerarbeit" ist somit eine
Variante der Auslagerung - i.d.R. staatlich organisierter - öffentlicher
Aufgaben in einen völlig deregulierten Null-Lohn-Sektor.

"Bürgerinitiativen neuen Typs"

Während für Beck der "Gemeinwohl-Untemehmer" als "Mischung von Bill Gates
und Mutter Teresa" zur zentralen Figur der "Bürgerarbeit" wird, träumt
Willfried Maler alt Grüner mit Bewegungserfahrung von "Bürgerinitiativen
neuen Typs". Ihm schweben Initiativen vor, die nicht mehr gesellschaftliche
Mißstände skandalisieren (Anti-AKW-Inis), in "gewerkschaftlicher
Orientierung" Forderungen an den Staat stellen oder gar diese Gesellschaft
kritisieren und überwinden wollen, sondem die alt reine
Selbsthilfeinitiativen die "liegengebliebenen Arbeiten" erledigen, ohne
staatliche Fördermittel zu beanspruchen. Ja, die in "kreativer
Eigeninitiative" Kindergärten, Schulen, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und
Pflege sogar billiger produzieren können.

Öffentliche Dienstleistungen sind prinzipiell allen zugänglich. Ihre
Regelungen beruhen auf transparenten und geregelten Verfahren und haben oft
genug einen einklagbaren Anspruchscharakter. Dieter Emig beschreibt in der
AKP 4/1997 sehr nachdrücklich, wie die Verlagerung auf "Bürgerarbeit" hier
zu einer Privatisierung der besonderen Art führen kann. Denn jetzt ist nicht
mehr geklärt, wer diese in "Bürgerarbeit" erstellten Dienstleistungen nutzen
darf. Was ist mit denjenigen, die sich nicht so sehr engagiert haben, z.B.
beim Bau oder Umbau eines Kindergartens in Eigenregie nicht mitgemacht
haben? Ist es dann Zufall, wenn deren Kinder auf der Warteliste immer
überrundet wer den? Oder ist es Zufall, wenn nicht-deutsche Kinder irgendwie
keine Chance in diesem Kindergarten haben? In dem Kindergartenbeispiel wird
es bei den zeitraubenden Elternbesprechungen und Arbeitseinsätzen nicht
lange dauern, bis eine Beteiligungselite übrigbleibt. Wer sich Engagement
leisten kann, bestimmt über die mit, die nicht können oder wollen. Wer
gehört zur "Gemeinschaft", zum "Gemeinwesen" oder auch bloß zum "Projekt"
und wer nicht? Und wer entscheidet das? Im Konzept "Bürgerarbeit" werden die

Mechanismen von Ausschluß und Ausgrenzung nicht nur bis in den
gesellschaftlichen Mikrokosmos hinein verlängert und radikalisiert, sie
werden auch informalisiert. Es entsteht ein "common sense" der
ehrenamtlichen Aktivistlnnen, der letztlich durch deren Selbstinteresse
definiert ist. Der "solidarische Individualismus" eines Ulrich Beck ist eben
nicht gleichbedeutend mit gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, die über
das eigene Projekt, den eigenen Straßenzug oder das eigene Stadtviertel
hinausdenkt. Die Mittelschichtsfixiertheit dieses Modells von
"Gemeinwesenarbeit" korrespondiert auffällig mit der "Kommunitarismuswelle"
und dem "Gemeinwesenegoismus" der weißen, wohlhabenderen Vorortbevölkerung
US-amerikanischer Großstädte (auch WASP"s genannt: White Anglo-Saxon
Protestant). Hier wird das gutbürger liche "Gemeinwesen" nicht selten zur
Festung, gesichert durch eine Mischung aus privaten Wachdiensten und
sozialer Kontrolle; ein Effekt von "Gemeinwesenarbeit", mit dem auch
Willfried Maier Kriminalität eindämmen möchte.

Daß im Rahmen der "Bürgerarbeit" auch der Standard der öffentlichen Aufgaben
und Dienstleistungen sinkt, wird billigend in Kauf genommen: Welcher
kommunale Kämmerer würde nicht z.B. bei den Bauvorschriften beide Augen
zudrücken, wenn ihm eine Bürgerinitiative in Eigenarbeit einen Kindergarten
vor die Türe stellt und er so die bundesgesetzliche
Kindergartenplatzgarantie erfüllen kann! Willfried Maler will seine
Gemeinwesenarbeit ausdrücklich als unbezahlte Arbeit mit niedriger
Produktivität verstanden wissen. Auf die Arbeitsergebnisse käme es dabei gar
nicht so sehr an. Inspiriert von Tauschringen und anderen Erscheinungen
einer neuen informellen Überlebensökonomie, sollen in Eigenregie Produkte
und Dienstleistungen erstellt und getauscht werden, die zwar nicht allen
Qualitätsstandards entsprechen, dafür aber eben umsonst sind. Als Hamburger
Stadtentwicklungssenator sieht er hier eine Alternative für die
Unterversorgung großstädtischer Armutsquartiere. Deutlicher kann eine Vision
von zwei Klassen sozialer und anderer Dienstleistungen nicht formuliert
werden: Während diejenigen, die es sich leisten können, professionell
erstellte, öffentliche Dienstleistungen kaufen können (z.B. gut
ausgestattete und kompetente Pflegeeinrichtungen), werden die anderen auf
die labilen Netze des informellen Sektors und auf Leistungen minderer
Qualität verwiesen.

Der diskrete Charme der Pflichtarbeit

Beck, Maler, Tönnies, Rifkin u.a. stellen mit ihren Konzepten von Arbeit
fürs Gemeinwohl den Bereich der Lohnarbeit selbstverständlich nicht in
Frage. Für sie alle soll der Gemeinwohlsektor parallel neben dem Sektor
hochproduktiver Lohn arbeit stehen und diesen ergänzen. Die Frage, die sich
unmittelbar aufdrängt, ist: Wer soll die "Bürgerarbeit" leisten? "Menschen,
die vorübergehend arbeitslos sind, Jugendliche vor der Berufsausbildung,
Mütter nach dem Erziehungsurlaub, ältere Menschen im Übergang zur Rente",
hat Ulrich Beck dabei im Sinn. Arbeitslose könnten sich in der
"Bürgerarbeit" qualifizieren, den Makel der Arbeitslosigkeit verlieren und
für Unternehmen wieder attraktiv werden. über drei Millionen neue Jobs
möchte er mit "öffentlicher Arbeit" schaffen, und auch alle anderen
Apologeten der "Bürgerarbeit" wollen vorrangig Arbeitslosigkeit beseitigen.
Zumindest im freiwilligen Teil des Gemeinwohlsektor in der BRD wird dieses
postmoderne Job-Wunder aber wohl kaum stattfinden. Wie bereits erwähnt, wird
zwar in Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Initiativen in
erheblichem Maße unbezahlte, ehrenamt liche Arbeit geleistet. Wie das DIW
feststellt, aber nahezu ausschließlich komplementär zur Lohnarbeit, in der
Freizeit. Wenn dieser Sektor also überhaupt Erwerbslose erreicht, dann noch
am ehesten AkademikerInnen. Schon Becks Figur des "Gemeinwohlunternehmer"
orientiert sich eher an einem Franz Beckenbauer, der sich ehrenamtlich der
Kampagne "Keine Macht den Drogen" verschreibt, als an der Lebenssituation
und den Bedürfnissen einer durchschnittlichen erwerbslosen Mutter oder eines
Bezieher von Sozialhilfe. Je konkreter die Vorschläge zu einem Sektor
"öffentlicher Arbeit" werden, desto mehr verlassen sie die luftigen Höhen
mittelschichtsorientierter Ehrenamtlichkeit und landen in den Niederungen
des realexistierenden staatlichen Arbeitsmarktes und der "gemeinnützigen
Arbeit".

Unter- und nichtbezahlte "Bürgerarbeit" wird von Erwerbslosen und
SozialhilfeempfängerInnen heute in einer Vielzahl staatlicher
Beschäftigungsmaßnahmen geleistet. Außer daß der "Lohn" in diesen
Einrichtungen selten über dem Sozialhilfesatz liegt, haben alle Maßnahmen
die Eigenschaft gemeinsam, daß sie mehr oder weniger verdeckte
Zwangsveranstaltungen sind. Formal haben zwar auch Erwerbslose und
SozialhilfeempfängerInnen das Recht, Arbeitsangebote abzulehnen, die Strafe
folgt allerdings auf dem Fuße: Sperrzeiten beim Arbeitsamt und Kürzungen bei
der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Immer mehr Kommunen folgen den "Modellen"
aus Leipzig und Lübeck und verpflichten BezieherInnen von Sozialhilfe zu
sog. "gemeinnütziger Arbeit": Laubharken in öffentlichen Grünanlagen,
Säuberung von Wegen, Straßen und Plätzen etc. für zwei DM die Stunde. Eine
Weigerung kann die vollständige Einstellung von Sozialhilfezahlungen zur
Folge haben. In Hamburg fordert die CDU Jahr um Jahr die Wiedereinführung
dieser "gemeinnützigen Arbeit", und auch die SPD hat sich solchen Maßnahmen
gegenüber auf ihrem letzten Landesparteitag aufgeschlossen gezeigt So kommt
es nicht von ungefähr, wenn Stadtentwicklungasenator Maler in höchsten Tönen
die Initiative eines Geschäftsmannes lobt, der SozialhilfeempfängerInnen um
sich scharte, um gegen eine "geringe Aufwandsentschädigung" eine größere,
öffentliche Grünfläche zu säubern. Für Willfried Maier ein Paradebeispiel
für "Gemeinwesenarbeit" und eine "Bürgerinitiative neuen Typs". Und
mittlerweile kann auch das Arbeitsamt Erwerbslose zu gemeinnütziger Arbeit
verdonnern: Im Kreis Nienburg müssen zur Zeit Erwerbslose zum Spargelstechen
antreten. Ulrich Beck und auch Jeremy Rifkin werden nicht müde, die
Freiwilligkeit von "Bür gerarbeit" zu betonen. Sie unterlassen es jedoch
tunlichst, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Bundessozialhilfegesetzes
oder des Arbeitsüörderungsgesetzes in Frage zu stellen bzw. überhaupt zu
thematisieren. In dem Maße aber, wie diese Tätigkeiten mit den
sozialhilferechtlichen Instrumentarien umgesetzt werden sollen, kommen sie
über den Status ordinärer "gemeinnütziger Arbeit" für
SozialhilfeempfängerInnen nicht hinaus: freiwillig ja, aber unter der
Drohung, bei Weigerung staatliche Leistungen zu entziehen.

Postmoderner Arbeitsdienst

Andere Befürworter dieser Konzeptionen von "Bürgerarbeit" sind in Sachen
Arbeitspflicht weniger zimperlich. In dem "Drei-Schicht- Modell", das der
ehemalige Manager Orio Giarini und der Wirt schaftsberater Patrick Liedtke
für den Club of Rome entwickelt haben, werden Erwerbslosen und
SozialhilfeempfängerInnen 20- Stunden-Jobs im sozialen Bereich zugeteilt.
Sie werden zur Arbeit verpflichtet, um den Anspruch auf ein Mindesteinkommen
zu erhalten. Die Bremer Sozisiwissenschaftlerin und Juristin Sibylle Tönnies
propagiert ungeniert die Neuauflage eines Arbeitsdienstes. Es könne nicht
angehen, so Frau Tönnies in der ZEIT, daß dieses Instrument ein für allemal
durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus diskreditiert sei. "Deutsche
Jugend im Elend" lautet ihre Diagnose, und es müsse endlich Schluß sein mit
falschen Randgruppenstrategien, die "das Normale verachten und das
Pathologische bewundern". Statt dessen müsse "Arbeit organisiert werden".
Und zwar nicht als einkommenssichernde Lohnarbeitsplätze, sondem als Pflicht
zu unentlohnter Arbeit. Sie bezieht sich dabei ausdrücklich positiv auf
Becks "Bürgerarbeit".

Im "Tönnies"schen Arbeitsdienst sollen vor allem Jugendliche auf der Basis
der bereits jetzt möglichen "gemeinnützigen Arbeit" des
Bundessozialhilfegesetz umsonst für das Gemeinwohl arbeiten und
"Gemeinschaft erleben". Postmodern heißt das Ganze dann nicht mehr
"Arbeitsdienst", sondem "Erlebnisdienst", und statt Volkslieder am
Lagerfeuer gibt's abends Disco. Ins selbe Horn stößt Hans-Eckehard Bahr,
Leiter des Forschungsprojekts "Jugendgewalt und Stadtfrieden" (sic!) an der
Ruhr-Universität Bochum. Er fordert ein verbindliches, soziales und
ökologisches Engagement, denn "wissen wofür man lebt", ist die Losung der
Stunde. Zivildienst und Soziales Jahr sind für ihn die Keimzellen "einer
(zivilen) staatsbürgerlichen Dienstpflicht für Männer und Frauen." Dem neuen
Charme der Zwangsarbeit können bei soviel wissenschaftlicher Querdenkerei
auch grüne PolitikerInnen nicht mehr widerstehen. So bringt der
rechtspolitische Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Volker Beck,
die "gemeinnützige Zwangsarbeit" als strafrechtliches Sanktionsinstrument
ins Gespräch (Die "work camps" US-amerikanischer Knäste lassen grü ßen!>.
Und auch Willfried Maier möchte seine "Gemeinwesenarbeit" am liebsten als
Pflichtdienst - mit einem "Ehrensold" - organisiert sehen. In der
Arbeitspflicht für alle sieht Maler allen Ernstes die "Verwirklichung
sozialistischer Organisationsprinzipien" und das Prinzip "Sozialismus statt
Sozialstaat".

Das Konzept der "Bürgerarbeit" oder "öffentlichen Arbeit" entpuppt sich
gerade mit dem Versprechen, Arbeitslosigkeit beseitigen zu wollen, als eine
Kampfansage an Erwerbslose, SozialhilfeempfängerInnen und Arme. Wenn
Erwerbslosigkeit in erster Linie als gesellschaftliche und individuelle
"Krankheit" interpretiert wird, wird "Arbeit an sich" zu einem
therapeutischen Instrument. Es geht dann weder um individuelle Bedürfnisse,
Einkommen, Arbeitsbedingungen, ArbeitnehmerInnenrechte usw., sondem nur noch
um die therapeutische Beseitigung pathologischer Zustände. Arbeit oder,
genauer, irgendeine Form von Beschäftigung wird so zu einem Beitrag der
"Volksgesundheit". Gleichzeitig zementiert die "Gemeinwohlarbeit" die
Verpflichtung zum "Dienst an der Gemeinschaft" als Voraussetzung für
staatliche Transferzahlungen. Selbst die minimalste Existenzsicherung muß
erst einmal "verdient" werden. Es ist vor diesem Hintergrund wenig erstaun
lich, daß "gemeinnützige Arbeit" als allgemeine Arbeitsverpflichtung gerade
in den "Mutterländern" der "Bürgerarbeit", den USA und Großbritannien,
zentraler Bestandteil der "Sozialhilfereformen" ist.

Schöner Schein der Emanzipation

Die Debatte um "Ehrenamtlichkeit" und "Bürgerarbeit" richtet sich explizit
sowohl gegen das fordistische Normalarbeitsverhältnis als auch gegen den
Sozialstaat keynesianischer Ausprägung. Dabei greift sie vordergründig
durchaus Forderungen und Bedürfnisse emanzipatorischer Bewegungen auf. So
etwa die Kritik der Frauen- und Erwerbslosenbewegung am herrschenden
Arbeitsbegriff und der Lohnarbeitszentriertheit. Oder die Bedürfnisse nach
selbstbestimmtem und kollektivem Arbeiten, die einmal aus dem Bereich der
"alternativen Ökonomie" und von Selbathilfeinitiativen gegen die
kapitalistische Lohnarbeit formuliert worden sind. Und auch der
keynesianische Sozialstaat wird ja aus guten Gründen von links als
bürokratischer Kontrollstaat kritisiert. Selbst die Bismarcksche
Sozialgesetzgebung ist ja nicht nur ein Zugeständnis an die
Arbeiterbewegung gewesen. Sie war gleichzeitig ein Akt der Enteignung selbst
organisierter und selbstverwalteter Versicherungskasten der
ArbeiterInnenklasse. Im Konzept der "Bürgerarbeit" werden all diese
Bedürfnisse und Ansprüche ihres emanzipatorischen Gehalts beraubt. Dieser
Jargon pflegt die abstrakte Beschwörung von "Eigeninitiative" und
"Selbsthilfe", um im Konkreten zum Wegbereiter für neue Billiglohnsektoren,
Zwangsar beitsverhältnisse und den Abbau öffentlicher und sozialer
Einrichtungen und Dienstleistungen zu werden.

Dk

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